Mit Vollgas durch die Winterpause

DarkHasi_winterpauseZum Abschluss der Saison landet Radhasi auf dem dritten Platz. Die Freude ist getrübt, denn der Sieg wäre drinnen gewesen, und in der Winterpause bahnt sich eine Depression an, deren Grenze zwischen Schweinsbraten und Gemüsesuppe angesiedelt ist. Sechs Kilo später ist das Radhasi „nur mehr“ ein mächtiger Schatten seiner selbst.

Noch 400 Meter bis zum Ziel, mein Puls hat sich vor 30 Minuten knapp unter der Kotzgrenze eingependelt, die Muskeln meiner Beine schmerzen und meine Lungen brennen wie Feuer. 200 Meter, ich blicke ehrfürchtig zurück, aber es ist weit und breit niemand zu sehen. Kann das sein? Hab ich sie alle abgehängt? Wenn ich mich nicht verzählt habe so müsste ich … „Und der Dritte Platz geht an Radhasi, mit zwei Minuten Rückstand auf das Führungsduo.“, brüllt der Sprecher ins Mikrofon. Shit, zwei Minuten nur? Wenn ich das gewusst hätte. Warum wurde ich von der Betreuung nicht entsprechend informiert? Augenblicklich verpufft die Freude über meinen Stockerlplatz und ich lehne ernüchtert am Renner. In diesem Moment tiefster Depression kämpft sich meine Betreuung durchs Gewühl und spricht mich von der Seite an.

Mausi: „Na supi Hasi. Ein Stockerlplatzi, freust dich gar nicht?“
Ich: „Na.“
Mausi: „Und, anstrengend? Hast sehr schnell radeln müssen?“
Ich: „Hmm. Im Vergleich zu deinem Verhör war es eine Werbeausfahrt.“
Mausi: „Was hast du da im Bart hängen Hasi? Und an deinen Händen?“
Ich: „Das im Gesicht ist vermutlich Rotz, Schleim und Kotze. Und an den Händen klebt Blut, aber nicht meines.“
Mausi: „Igittigitt. Trink erst mal einen Schluck und dann gehst dich duschi. Und jetzt freu dich doch endlich, das war dein letztes Rennen und es beginnt die Winterpause!“

Es trifft mich wie der Schlag, sie hat Recht, das organisierte Leben wie wir es kennen ist für diese Saison vorbei. Schluss und aus, jetzt folgt erneut eine dunkle Epoche, die lange und harte Phase der Sucht, Lüste und der Sünde: Sodom und Gomorra waren ein Dreck dagegen – gegen die Winterpause einer Radhobbette.
Schon wenige Tage später hänge ich völlig ernüchtert auf der Wohnzimmercouch. Sechs Tage ohne Training, ohne Plan und ohne sportliche Herausforderung – ein Jammer. „Gehst du bitte heute mit mir Einkaufen, Hasi. Ich muss zum Merkur, dm, Bipa, H&M und brauch neue Schuhe vom Wunderl.“, fragt sie mich und lässt mir, in Ermangelung einer Trainingsausrede, keine Wahl. So schnapp ich mir also das Körbchen und begleite die Frau stundenlang von Shop zu Shop. Ich kann mich an kein Intervalltraining meines Trainers erinnern, bei dem man ähnlich an seine physischen und psychischen Grenzen zu gehen hat, wie an jenem Einkaufssamstag mit der eigenen Frau. „Brauchst du nichts Hasi?“ Wohl: Bier, Zigaretten, Pizza, Cola, Linzer Stangerl und ein wenig Gras um die TV Abende erträglich zu machen. Die legalen Utensilien sind schnell besorgt, bei den illegalen Substanzen gestaltet sich die Beschaffung schon etwas schwieriger. Es ist ja nicht so, dass ich nicht wüsste wo man das Zeug herbekäme, aber ich habe zuviel Respekt vor dem Restrisiko. Man könnte zum Beispiel an einen Kriminalbeamten in Zivil geraten oder während des Geschäftsabschlusses von einem Drogenkranken ausgeraubt oder mit Aids infiziert werden. Ein Risiko, dem ich mich nicht unbedingt aussetzen möchte. „Ich hol das Auto. Mausi, nimmst mir g’schwind was vom Karlsplatz mit?“ bitte ich meinen Schatz. „Ja klar. Was genau brauchst du?“

Zu Hause angekommen schmeiße ich mich wieder vor den Fernseher. Was steht denn heute am Programm? Nachrichten, Millionenshow und die Domino-Ralley. Na gut – alles besser als drei Stunden „Wetten dass“ mit der Horrorshow-Marionette Gottschalk. Schock, heute ist ja gar nicht Freitag sondern Samstag, verdammt: „20.15 Uhr Wetten dass“. Es trifft mich allerdings nicht unvorbereitet. Nach zwei Geräten und ein paar Dosen Bier lache ich schon herzhaft über die Scherze von Thomas und über die seltenblöde Saalwette. Nauuu, und mein Mausi hat sich heute auch sehr hübsch gemacht. Ich sehe rüber und blicke ihr tief in die Augen – sie strahlt. „Na ein, zwei Bier brauch ich noch, dann bin ich soweit …“, denke ich und mache einen tiefen Zug.

Drei Wochen später. Aufenthaltsort: Wohnzimmer. Status: blad. Ich bin nur mehr ein mächtiger Schatten meiner selbst. Sechs Kilos habe ich seit dem Beginn der Pause zugenommen, mein Atem stinkt nach Rauch und Alkohol, meine Arme, das Gesicht und die Beine sind unrasiert und meine Hände zittern wegen des anaeroben Entzugs.

„Essen ist fertig“, ruft die Frau aus der Küche.
„Was gibt’s heute?“ frage ich.
„Gemüsesuppi!“, schallt es zurück.
„Den Scheiss kannst selber essen.“, kontere ich.
„War eh nur ein Spassi, Schweinsbraten hab ich gekocht.“, erwidert sie und ich lasse mit mir reden.

Während ich mich über die tote Sau hermache, greift die Frau plötzlich nach meiner linken Hand und beginnt zu sprechen. „Hasi, ich mach mir ernsthaft Sorgen um dich. Du bist in letzter Zeit so still und wirkst traurig. Was ist denn los?“ Nun ja, ich bin es einfach nicht gewohnt so viel Zeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen. Vielleicht liegt es aber auch nur an ihrer permanenten Anwesenheit und den vielen Fragen. Ich versuche die Diskussion mit einem „Alles bestens Mausi.“ vom Tisch zu wischen, aber sie bleibt hartnäckig. „Du solltest wieder mal deine Freunde treffen und mit ihnen etwas Lustiges unternehmen. Dann geht’s dir vielleicht besser!?“ Ich halte einen Moment inne und erinnere mich an die guten, alten Zeiten, in denen wir im P1 den vollen Kredit hatten und an der Bar alles vollkotzen konnten, ohne hinauszufliegen. Oder an die kollektiven Alkoholvernichtungen am Donaukanal, das anschließende Disco-Orienteering unter Stroboskopbeschuss und die lustigen Nächte mit „Schikurs-Charakter“ in den Ausnüchterungszellen der Bundespolizeidirektion im Ersten Bezirk. „Ja du hast recht Mausi, ich sollte wieder mal was unternehmen.“

Am darauf folgenden Freitag finde ich mich mit meinen Jungs in einem Irish Pub wieder. Der Schmäh rennt und der Alkohol fließt in Strömen. Nachdem alle von uns einen Richtigen sitzen hatten, nehmen wir einen Standortwechsel vor. Auf der Death Metal Party fühle ich mich nach langer Zeit wieder richtig wohl. Wir scherzen, trinken und tanzen mitten im Nieten- und Leder-Getümmel auf der Tanzfläche. Ein Headbang da, ein Rempler dort, Körper fliegen durch die Luft. „Meine Maus hatte so recht.“, erinnere ich mich an ihren Ratschlag, einen drauf zu machen. Und während ich glücklich und zufrieden vor mich hin sinniere, trete ich auf eine leere Bierflasche, rutsche aus, bekomme einen Ellenbogen in die Rippen, verliere das Gleichgewicht und reiße eine Hooliganbraut mit in die Tiefe. Als Anerkennung packt mich ihr Freund, ein dicker Skinhead, am Kragen und schlägt mir seine geballte Faust mitten ins Gesicht.

Der Tag danach. Ich hänge mit aufgedunsenem Gesicht, geschwollenen Augen und einer neuen Titan-Zahnspange auf der Couch und verfolge „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“. Die Frau steht, wie die meiste Zeit, in der Küche und stellt die Frage aller Fragen: „Hasi, was soll ich heute kochi?“ Ohne lange zu überlegen antworte ich voller Inbrunst: „Eine Gemüscheschuppe wär schuppi!“

erschienen in der Radwelt 07-2007