Reif für die Insel

DarkHasi_inselRadhasi auf Urlaub. 

Draußen wütet ein heftiger Schneesturm, das Thermometer zeigt minus 2 Grad Celsius und der Bodennebel gefriert. Ein ganz normaler Sonntagmorgen im Dezember, gepaart mit schrecklichen Kopfschmerzen nach einer durchgezechten Nacht. Viel schlimmer kann ein Tag eigentlich nicht beginnen, sollte man meinen.

„Was machst du da, Hasi?“ eröffnet Mausi das Verhör mit der 100 Euro Frage. „Ich schreibe.“ antworte ich unfreundlich und bestimmt. „Und was?“ Es war klar, dass sie sich mit dieser Flut an Informationen nicht zufrieden geben würde, aber ich möchte es ihr so schwierig wie möglich machen. „Eine Liste.“ Sekundenbruchteile später legt sie nach, es geht um 500 Euro: „Was denn für eine Liste?“ Ich spüre einen spannungsgeladenen Blick der mich durchdringt und es platzt aus mir heraus: „Meine Urlaubsliste fürs Trainingslager zum Teufel. Wie du weißt, fliege ich mit meinen Kumpels über Weihnachten und Sylvester nach Gran Canaria zum Rennradfahren und da möchte ich nichts Wichtiges vergessen.“

So jetzt ist es raus. Da ich ursprünglich geplant hatte, keine große Geschichte daraus zu machen, habe ich es vor Monaten einmal am Rande erwähnt. Wie erhofft hatte sie es wieder vergessen und fühlt sich nun etwas vor den Kopf gestoßen, aber es ist wie es ist, die Bombe ist geplatzt. Ich widme mich weiter der Liste: Rasierzeug, Sonnencreme, Gesäßcreme, Muskelöl, Körpermilch, Achselspray, Mundspray, Hugo Parfum, Weinflaschenöffner, Zigarren, Streichhölzer, Aspirin, Kondome gefühlsecht, zart genoppt und Gleitcreme, für den Fall, dass eine Radfahrerin an der Reihe ist. Fertig.

„Hach, wegen dem Trainingslager.“ seufzt Mausi und zwinkert mir zu. „Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen, das Packen übernehme ich!“ Bei mir läuten erste Alarmglocken. „Wieso willst du meine Sachen packen?“ frage ich vorsichtig nach. „Nicht deine, Hasi. Unsere Sachen! Ich habe mich mit deinem Reisebüro in Verbindung gesetzt und als Weihnachtsüberraschung werde ich dich begleiten. Unser erster gemeinsamer Urlaub auf deiner Lieblingsinsel, samt einer kuscheligen Sylvesterparty am Strand. Ich habe bereits alles geplant.“ Mich trifft der Schlag, die Spannung erreicht ihren Höhepunkt und sie stellt jubelnd die Sechs Millionen Euro Frage: „Frohe Weihnachten, Hasi! Freust du dich?“ strahlt sie, wie ein frisch lackiertes Hutschpferd. Ich antworte souverän mit einem überschwänglichen „Hm!“, streiche bis auf den Flaschenöffner alle Utensilien von meiner Liste und falle wieder auf Null Euro zurück. Ground Zero.

In der darauf folgenden Nacht bekomme ich kein Auge zu. Ich bade in meinem Angstschweiß und wälze mich von einer Seite zur anderen. „Gutschi, gutschi, Hasi. Geht es dir nicht gut?“ flüstert mich die Frau an und fährt mir mit ihren Fingern im Gesicht herum. „Nein. Alles bestens Mausi, das ist nur die Vorfreude auf unseren bevorstehenden gemeinsamen Urlaub!“ antworte ich sarkastisch. Aber es ist egal, sie versteht den Wink sowieso nicht. „Schön!“, atmet sie auf, „Ich freu mich ja auch schon riesig und jetzt schlaf weiter. Ich muss in meinem früheren Leben etwas sehr Schlimmes verbrochen haben. Jahrelang mein Leben zu vermiesen und mir Stück für Stück alles zu nehmen, ist ihr wohl nicht mehr genug. Nun ist auch noch das Trainingslager, die letzte Bastion männlichen Stolzes, in Gefahr. Ich zermartere mir das Gehirn für eine zündende Idee um diesen Akt weiblicher Zerstörung zu verhindern. Langsam aber sicher formen sich schreckliche Bilder in meinem Kopf. Frau beim Frühstück, Frau im Bad, Frau am Rad, am Berg, im Café, am Pool, beim Abendessen, an der Bar, in der Disco, beim Burger King, im Taxi und im Bett. „Aaahhhh!“ Bilder die ich wohl niemals vergessen werde.

Urplötzlich jedoch bekomme ich die lang ersehnte Eingebung! Ich werde mit den gleichen Waffen zurückschlagen und ihr diesen Urlaub so vermiesen, dass sie nie wieder auf die kranke und abartige Idee kommt, mich zu begleiten. Gut, mein Plan ist für sie nicht gerade ungefährlich, aber immerhin stehen hier großartige Werte der Männerwelt auf dem Spiel. Ich wiege sie in Sicherheit, kuschle mich rüber und schlafe mit einem fiesen Grinsen zufrieden ein.

Montagmorgen, 9 Uhr
Ich stehe aufgeregt vor der Eingangstür des Zweiradshops Pacal, als der Chef höchst persönlich sein Geschäft aufsperrt. „Guten Morgen Meister! Ich brauche bitte dringend ein 11-21er Ritzel und 56/44er Kettenblätter.“. Hermann blickt mich etwas ungläubig an. „Wir haben Dezember. Es gibt doch noch gar keine Zeitfahrrennen, wofür du diese Übersetzung brauchen kannst?“, möchte er wissen. „Nein, nein. Das ist für kein Rennen, sondern fürs Trainingslager auf Gran Canaria.“, beruhige ich ihn. „Du brauchst 56-11 fürs Trainingslager?“, lässt er nicht locker. „Das ist nicht für mich. Mausi kommt überraschend mit und ich benötige diese Übersetzung für ihr Rad.“ erläutere ich meine Strategie. Mit den Worten „Aha! Na du wirst schon wissen was du tust.“, greift er in die magische Lade unter seinem Verkaufspult und reicht mir die kostbaren Teile.

Kurze Zeit später habe ich ihr Rad fertig. Anstatt der gewohnten Schwuchtelkurbel, thront dort nun eine wunderschöne Carbonkurbel mit einem 56er Kettenblatt. Der ungepolsterte C64 Selle Italia Sattel ist mir für meine Hübsche gerade gut genug und die Laufräder werden mit den leichtesten Latexschläuchen und profillosen Superlight Drahtreifen ohne Pannenschutz getuned. Wenn das Ding erst einmal läuft, denk ich mir, dann sicher sauschnell – zumindest bis zum nächsten Hügel oder ersten Schlagloch. Ich entferne die Satteltasche mit dem Reserveschlauch samt Pickzeug, verstaue alles sorgfältig im Radkoffer und der Urlaub kann beginnen.

Mittwochnacht, 3 Uhr
Wir treffen uns mit meinen Kumpels am Flughafen beim Check-In. Als einer meiner Freunde Mausis Reisepass und Gepäck bemerkt, fragt er diskret: „Was wird das wenn’s fertig ist? Sag ned, die Oide kommt auch mit?“ Mausi nimmt es relativ locker und revanchiert sich mit einer harten Rechten. Es folgen weitere Kraftausdrücke und Handgreiflichkeiten, die beiden können wohl nicht so miteinander. Erst nachdem die Herren in meinen Katastrophenplan eingeweiht wurden, glätten sich die Wogen und wir treten die Reise zur Insel der Liebe an.

Ich werde nie verstehen warum nervenschwache Frauen immer am Fenster sitzen möchten, wenn sie mit den Start-, Landeprozeduren und Turbulenzen nicht zurechtkommen und zu allem Übel dreimal die Stunde auf die Toilette müssen. Mausi weiß es wohl auch nicht, aber sie will, wie immer, den Fensterplatz. „Du Hasi, ich muss mal für kleine Mädchen.“ Ich runzle die Stirn, zwei weitere Leute müssen sich abschnallen, aufstehen, die Kaffeewagen werden gestoppt, zur Seite geschoben und Stewardessen an die Wand gedrängt. Meine Trainingskollegen blicken mich vorwurfsvoll an.

15 Toilettengänge später landen wir in Las Palmas auf Gran Canaria. Unter Tränen klatscht Mausi, als wäre sie bei einer Premierenveranstaltung von Giuseppe Verdes Aida zugegen. „Nur Pensionisten und Weiber paschen nach einer Landung.“, schallt es von hinten. Ich versinke vor Scham in meinem Recaro Sessel.

Im Hotel eingecheckt, beginne ich unverzüglich die Fahrräder auszupacken und mache sie für eine kurze Auftaktrunde startklar. 60 Kilometer mit 1800 Höhenmetern vor dem Abendessen sind ideal um sich für die harte Trainingswoche einzufahren. Mausi ist bis in die Zehenspitzen motiviert und hüpft neben mir herum wie ein wild gewordenes Känguru, hm, oder wie ein tollwütiger Affe, ich weiß es nicht, da ich versuche sie weitgehend zu ignorieren. Ihr ambitionierter Zustand wird sich gewiss bald ändern, heute noch.

„Bist du bereit?“, frage ich rhetorisch die von Kopf bis Fuß, wie ein Profi bekleidete und in ihre Pedale eingeklickte, Frau neben mir. „Jaaaaaa!“ Wir rollen langsam die Hotelausfahrt hinauf und ich vernehme schon nach wenigen Metern ein armseeliges Hecheln und Jauchzen. „Was ist los Mausi, läufts dir nicht gut?“, heuchle ich Interesse vor. „Ich weiß nicht. Das geht heute alles so streng.“ stöhnt sie. „Eigenartig!?“ rufe ich zurück, als sie die ersten 100 Meter auf meine Freunde und mich aufreisst. Aber Mausi gibt alles und kann in der darauf folgenden Abfahrt wieder aufschließen. „Du Hasi, ich hab Probleme mit der Kurbel. Im Wiegetritt streift das Kettenblatt am Asphalt. Das ist schon recht groß, gell?“ keucht sie. „Vermutlich nennt man es deshalb im Fachjargon das Große Kettenblatt.“ stelle ich beruhigend fest und meine Kumpels müssen sich das Lachen verkneifen. *krch* *krch* Dieses Kratzgeräusch ist allerdings wirklich unangenehm und wird von Minute zu Minute nervender. Wir verschärfen das Tempo, *krch* *krch* *krch* *krch*, und nähern uns der ersten richtigen Steigung. Mit jedem zurückgelegten Höhenmeter verliert Mausi mehr an Boden und der Krach lässt endlich nach. „Wartet doch auf mich!“ oder so ähnlich schallt es aus dem Hintergrund. „Habt ihr etwas gehört?“ frage ich rhetorisch. „Nein!“ sind sich meine Freunde einig und wir klettern dem Gipfel entgegen. Zweimal links, die enge Kehre rechts, 50 Meter über Schotter und zwischen den Felsen weiter bergauf. Diesen Weg kann sie einfach nicht finden, sind wir uns sicher. Der Ordnung halber legen wir trotzdem eine kleine Pause zum Zusammenwarten ein. *krch* *krch* *krch* *quietsch* Keine fünf Minuten später steht uns Mausi gegenüber. Mit Oberschenkeln, groß wie Reissäcke und einer Gesichtsfarbe, die das rotglühende große Kettenblatt überstrahlt. „Auf geht’s meine Herren.“ stammelt Mausi, derweil heißer Schweiß in Bächen über ihre Wangen läuft und wir setzen zur finalen Abfahrt an.

Game over
Nun geraten meine Kollegen mit ihren Kompaktkurbeln bei 130-150 Umdrehungen ins Schwitzen. Mausi hingegen ist mit ihrer Übersetzung bergab eine Macht. *krchhhhh* *krchhhhh* Wir stürzen mit 80km/h und mehr, auf sehr schlechten Straßen, in Richtung Küste. Während wir uns gegenseitig die zerbrochenen Glasflaschen, toten Tiere und Schlaglöcher anzeigen, lassen wir Mausi darüber im Unklaren. Von nun an geht es Schlag auf Schlag. Nachdem Mausi dem wild gewordenen Straßenköter in letzter Sekunde ausweichen und die zermatschte Katze nur noch mit einem akrobatischen Bunny Hop in Seitenlage passieren konnte, landet sie auf einem überraschten Gecko und rutscht direkt im Anschluss in ein riesiges Schlagloch. „Peng“ vorne und „Pfff“ hinten. Schläuche kaputt. Kein Pickzeug dabei. Game over. Wir düsen im Hochgeschwindigkeits-Rausch weiter durch die Dämmerung, überlassen Mausi ihrem Schicksal und erreichen schlussendlich unser Hotel.

Frisch geduscht sitzen wir eine Stunde später beim Abendessen, draußen ist es bereits stockdunkel, es stürmt, schüttet in Strömen und kein Mausi weit und breit. „Machst du dir keine Sorgen?“ fragt mich einer meiner Freunde. „Nein, warum?“ antworte ich einfältig. Wobei das gelogen ist, natürlich mache ich mir Sorgen, die Carbonkurbel war ja immerhin nagelneu. Aber dann, einige Hauptspeisenteller später, geschieht das Unerwartete. Mausi erscheint mit einem braungebrannten, muskulösen Riesen am Buffet und präsentiert sich in bester Laune. „Na da bist du ja Schatz, wohin bist du so plötzlich verschwunden? Wir haben uns schon Sorgen gemacht.“ gebe ich vor. „Ich hatte einen Defekt, genau genommen zwei Patschen und am Rad war kein Werkzeug und Reserveschlauch montiert.“ wirft mir Mausi vor. „Aber dann kam Oliver des Weges“, deutet auf den Muskelprotz, „und war so nett mir zu helfen. Außerdem will er mir morgen eine 3fach Kurbel montieren, damit ich mir leichter tue.“ Ich nicke verständnisvoll und grinse den triumphierenden Typen an. „So ein Pisser.“ denk ich mir und widme mich dem Mouse au Chocolat.

Am nächsten Morgen stehe ich schon um 8 Uhr auf der Matte. Ich muss diese 3fach-Kurbel Aktion verhindern. Wo könnte dieser Knecht die Kurbel bloß herzaubern? Na klar, er wird sie im Bikeshop besorgen. Gott sei Dank gibt es nur einen im ganzen Ort und ich mache mich auf den Weg um alle Ritzelpakete, Kettenblätter und Kurbeln aufzukaufen. Mausi darf damit nicht durchkommen. Als ich den Shop betrete und in Richtung Verkaufspult schreite, trifft mich der Schlag. „Guten Morgen!“, begrüßt mich der Besitzer, es ist Oliver höchstpersönlich. „Du kommst sicher wegen der Kurbel für deine Frau!?“ stellt der spanische Krocha fest. „Ähm, wir sind nicht verheiratet.“ stammle ich, packe 150 Euro für eine nagelneue 3fach Kurbel auf den Tisch und wackle mit meiner Beute ernüchtert ins Hotel zurück. So ein verdammter Pisser.

Nach dem Frühstück machen sich meine Freunde bei schönstem Wetter zu einer großen Runde auf. Mausi und ich bleiben gemeinsam zurück, da ich ihr noch die neue Kurbel montieren muss. Ohne das entsprechende Werkzeug gestaltet sich aber schon der Ausbau schwierig. „Haltest du bitte!?“ frage ich Mausi. „Fester. G’scheit oida, bitte, halt den Dreck g’scheit fest. Des gibt’s ja ned, wie kann man nur so unfähig sein!?“ brülle ich, als ich mit einem verlängerten Inbusschlüssel und meinem Eigengewicht versuche die Kurbelschraube aufzubekommen. Ich trete, hüpfe, drücke und schiebe das Rad samt Mausi im Vorraum herum. *Schnalz* Die selbst gebastelte Verlängerung rutscht ab und der Inbusschlüssel rast mit voller Wucht in mein Gesicht. Neben dem Nasenbein müssen auch ein paar Zähne dran glauben. „So ein Scheischdreg.“ Aber zumindest ist die Schraube jetzt offen. Bevor sich Mausi um meine Verletzungen kümmern darf, möchte ich noch die neue Kurbel montieren und mein Werk vollenden. Anstatt des Lagerfetts nehme ich Margarine und das vorgeschriebene Drehmoment wird geschätzt. Eh schon alles egal. Zu guter Letzt muss nur mehr der Kurbelarm mit den Kettenblättern montiert werden und meine entwickelte Inbusschlüsselverlängerung wird erneut herangezogen. Ich trete, hüpfe, drücke und schiebe das Rad samt Mausi neuerlich durch den Vorraum . *Schnalz* Die Verlängerung bricht, der Inbusschlüssel bohrt sich durch die Badeschlappen in meine Fußsohle und die scharfen Kettenblätter trennen mir zwei Zehen ab. Blutüberströmt breche ich auf dem kalten Fliesenboden zusammen und schlage mir den Kopf auf. Bevor mich die Dunkelheit übermannt, erkenne ich noch die Umrisse von Mausis geschocktem Gesicht und bekomme einen Lachkrampf. „Ha, ha, ha. Bam Oida!“

erschienen in der Radwelt 01-2008