Kreisverkehrsrunde


nopain-comicKOLUMNE Kamptal Express

Wisset, liebe Leser: Start, Verlauf und Ziel einer sogenannten Normstrecke festzulegen und die dafür benötigte Fahrzeit via sozialen Netzwerken kundzutun, macht jede noch so harmlose Trainingsrunde zum erbarmungslosen Rennen …

Seit die „Kreisverkehrsrunde“ ausgerufen wurde, mischen sich auch im Kamptal immer öfter tieffliegende Zeitfahrspezialisten am TT-Rad mit Aero-Helm, Scheibe und Rotzglocke in den regen Verkehr. Ziel dieser Ausnahmeathleten ist weder „der Weg“ noch „Spaß an der Freud“. Es geht einzig um die schnellste Zeit der Facebook-Trainingsgruppe*.

Mein Haus liegt direkt an dieser Strecke. Selbstverständlich stellte ich mich der Herausforderung und führte die Liste nach einigen Rekordfahrten relativ ungefährdet an. Bis zu jenem verhängnisvollen Freitag Nachmittag, als ich folgende Statusmeldung von Bikeboarder Becks las: „1:24:12 (40,3km/h, 170 Puls, 84 Kadenz, 284 Watt), Wetter fast ideal, kaum Wind und 20°C.“ Ich war fassungslos. Nicht nur, dass ich die perfekten Wetterbedingungen nicht selber genutzt hatte (bei 20°C werden Weltrekorde erzielt) – meine Bestzeit war gleich um zwei Minuten unterboten worden! Eine Schmach sondergleichen, die ich nicht auf mir sitzen lassen konnte. So zog ich die logischen Konsequenzen. Kinobesuch mit der Freundin: abgesagt. Die anschließende Rotwein-Verkostung bei Freunden: ebenso. Teilnahme am 66er-Geburtstagsessen meiner Mutter: auf den 67. verschoben.

Ich verschanzte mich in der Werkstatt, um meine ZIPP-Garnitur mit schmalen Pro-Limited-Reifen und leichtgängigen Hochpräzisions-Keramik-Lagern zu pimpen. Außerdem reduzierte ich die Höhe der Armpads auf das absolute Minimum, montierte ein Kettenblatt mit 55 Zähnen und ein 11er-Ritzel hinten. Nach der obligatorischen Beinrasur nahm ich ein kohlenhydratreiches Abendessen zu mir, legte Zeitfahranzug samt Aerohelm bereit und ging früh zu Bett – alleine und im Keller, da mir die Freundin das Schlafzimmer nach einer gewaltigen Grundsatzdiskussion verwehrte. Gut ausgeschlafen boten sich mir tags darauf beste Bedingungen: trockene Straße, warme Temperaturen und ein leichtes Lüftchen – alle Zeichen standen auf Erfolg.

Ich startete nicht zu schnell und arbeitete mich mit gutem Tritt an die Laktat-Schwelle heran. Nach 25 Minuten und manch Schlagloch die ersten echten Schlüsselstellen in Gars. Zwei rege benützte Zebrastreifen, eine „schmierige“ Tankstellen-Ausfahrt, den unübersichtlichen Kreisverkehr und die große Wasserlache am rechten Fahrstreifen vor dem Blumengeschäft konnte ich mit ein wenig Risikobereitschaft und dem Aus-dem-Weg-Brüllen herumeiernder Passanten gut meistern. Der in Schlangenlinien fahrende Aixam und ein nervös folgender Pritschenwagen machten mir das Leben schon deutlich schwerer. Nichtsdestotrotz konnte ich diese Hürde durch einen kurzen Abstecher aufs Bankett und in den Gegenverkehr nehmen, ohne die Bremshebel auch nur ansatzweise zu berühren. Unter dem geschlossenen Aerohelm nahm ich das anschließende Hupkonzert kaum wahr und konnte mich weiterhin voll auf meine Mission konzentrieren.

Über 60 Minuten verstrichen, Kreisverkehre kamen und gingen, ich hämmerte ungeahnte Wattzahlen in den Asphalt und ein flotter 42er-Schnitt lag in realistischer Reichweite. Wild entschlossen nahm ich dem zögerlichen Mähdrescher den Vorrang, driftete durch den letzten Kreisverkehr in Langenlois und schnitt zur Verteidigung der Idealline ein Polizeiauto. Bis zur Unsterblichkeit fehlten nur mehr vier flache Kilometer bei herrlichem Rückenwind. Nichts und niemand konnte mir den Triumph jetzt noch nehmen – abgesehen vielleicht von der mit Sirene und Blaulicht herannahenden Funkstreife oder … PENG! … frei nach Norman Stadler, einem „anuzzah flat fuckin‘ TYAH“ (another flat fucking tire).

erschienen im TOUR Österreich Special 05-2012