Pleiten, Pech & Schrammen

DarkHasiRadhasi’s erster Mountainbike-Marathon. Die Erinnerungen an den ersten Marathon-Start sind nicht immer nur gute. Unser Radhasi weiß ein Lied davon zu singen. Martin Ganglberger hat dessen Weg aufgezeichnet und mit Profi-Tipps versehen.

Juni 2005 – Ich fasse den Entschluss, am ersten Mountainbike-Marathon meines Lebens teilzunehmen. Immerhin sitze ich jetzt schon seit über zwei Monaten regelmäßig, sonntagvormittags, auf meinem Mountainbike und brenne auf der Donauinsel die Konkurrenz her. Meine Maschine ist superheiß – Rahmen und Anbauteile aus Carbon, komplett XTR, superleichte Laufräder und zwei Tune-Flaschenhalter – am Material kann es also nicht scheitern. An der Fitness vermutlich auch nicht. Seitdem ich mein Bike erworben habe, konnte ich mein Körpergewicht tendenziell in Richtung Idealgewicht reduzieren … die letzten 10 überschüssigen Kilos plane ich mit einer Crash-Diät kurz vor dem Marathon wegzuhungern. Einzig die Fahrtechnik bereitet mir etwas Kopfzerbrechen. Daher muss ich unbedingt noch an ein bis zwei Techniktrainings teilnehmen. Aber zuallererst brauche ich ein Ziel, mein persönliches Saisonhighlight: Das erfolgreiche Abschneiden bei der Salzkammergut-Trophy – eventuell im ersten Drittel? 47 Kilometer sind gefühlsmäßig zu kurz und 200 Kilometer sind wahrscheinlich fürs erste Mal zu lang – daher wähle ich besonnen die 100-Kilometer-Distanz.

Profi-TIPP: Persönliche Ziele sind eine feine Sache. Allerdings sollten diese besonders zu Beginn der Marathon-Laufbahn realistisch bleiben. Bei der Wahl der Distanz darf man nicht auf Höhenmeter und Streckencharakteristik vergessen … 100 km können sehr lang werden, besonders bei widrigen Bodenverhältnissen, schwierigen Downhills und schlechtem Wetter. Beim ersten Mal eher eine kurze Distanz wählen und das Höhenprofil studieren … sonst tut’s zu sehr weh.

Die Anmeldung übers Internet ging flott vonstatten. Schnell war auch das Geld aufs Veranstalterkonto überwiesen und der Startplatz im Sack. Jetzt wird trainiert.

Juli 2005 – Leider verlief der Monat vorm Rennen nicht wie geplant: Schlechtes Wetter am Wochenende verhinderte mein Training. Dafür ging gewichtstechnisch einiges weiter – allerdings in die falsche Richtung. So leicht gebe ich mich dennoch nicht geschlagen und bestelle die leichtesten und ultimativen Marathonreifen (Testsieger?), sowie einen Vollcarbon-Sattel bei meinem Fachhändler. Das Abendessen werde ich die nächsten Tage wohl auch auslassen und zu Mittag gönne ich mir nur einen Salat.

Profi-TIPP: Die alte Weisheit: „Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Bekleidung“ gilt besonders bei Mountainbike- Marathons. Will man sich optimal auf einen Marathon vorbereiten, dann sollte das Training bei jedem Wetter erfolgen. So kann man Bekleidung und Material bei extremen Bedingungen ausprobieren und verbessert automatisch seine Fahrtechnik auf schwierigem Untergrund. Grundsätzlich sollten Experimente kurz vor und während Marathons überhaupt vermieden werden – besonders bei der Ernährung. Eine gesunde, ausgewogene und kohlenhydratreiche Ernährung ist immer eine gute Basis. Hier gilt: besser mehr als zu wenig – abgesehen vom Alkohol, auf diesen kann in der Vorbereitung ruhig verzichtet werden.

Freitag, der Tag vor dem Rennen – Habe heute die bestellten Reifen und den neuen Sattel erhalten, ein perfektes Timing. Kurz vorm Schlafengehen montiere ich die Semislicks und das Carbon-Leichtwunder. Ein abschließender „Probeheber“ bestätigt mein Gefühl … mit dieser Rakete werde ich es morgen krachen lassen. Schnell werfe ich noch Kalium, Kalzium, Vitamine, Proteine, Gelenkskapseln, L-Carnithin, Orthomol und sicherheitshalber eine Doppelpackung Magnesium ein … man will sich ja keinen bösen Krampf einfangen.

Profi-TIPP: Es spricht nichts gegen Nahrungsmittelergänzungen, wenn diese in vernünftiger Dosis über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Optimal wären eine Blutanalyse zuvor und ein klärendes Gespräch mit dem Hausarzt. So können Mangelerscheinungen schnell identifiziert und langfristig beseitigt werden. Eine bunt gemischte Einnahme diverser Mittel kurz vorm Marathon führt mit Sicherheit nicht zu einem positiven Ergebnis.

Samstag, 4 Uhr Früh – Der Wecker schreck mich mitten in der Nacht aus dem Bett. Es wird sicher ein ganz toller Tag, wären da nicht diese … „grrml“ … Bauchschmerzen. Spätestens nach der dritten Sitzung ist es gewiss: Irgendetwas habe ich gestern nicht vertragen. Aber was soll’s! Die Zeit drängt. Schnell packe ich meine Radsachen zusammen – was brauch ich eigentlich: Schuhe, Hose, Trikot, … hmmm … was noch – ach ja, Brille … und mein Bike. Shit! Entsetzen macht sich in meinen Augen breit … 5 Uhr 20 und ich habe den ersten Defekt – einen Platten vorne!!! O.k. – das Problem löse ich dann vor Ort. In der Dunkelheit hetze ich zum Auto, geplagt von Unsicherheit, Zeitdruck und einem mulmigen Gefühl in der Bauchgegend.

Profi-TIPP: „Never change a running system!“ Und schon gar nicht am Tag vor dem Rennen, so ein Schlauch ist bei der Montage schnell beleidigt. Reifen und Sattel sollten im Training erprobt sein – am besten, man pumpt am Tag vorm Rennen die Reifen auf, schmiert die Kette und rührt das Bike nicht mehr an. Ist das Rennen länger als 2 Stunden mit dem Auto entfernt, sollte man eine Nächtigung vor Ort in Erwägung ziehen. Das Rennwochenende gestaltet sich um einiges stressfreier. Man holt die Nummer am Vortag, montiert sie und braucht in den „nervösen“ Stunden vorm Start eigentlich nur mehr frühstücken und sich des überschüssigen Ballasts am Zimmer-WC entledigen.

Im Höllentempo geht’s nun nach Bad Goisern – kurz vor 9 Uhr parke ich mein Auto und mache mich auf den Weg zur Startnummernausgabe – wie auch 1.500 andere Starter. Lange Wartezeiten bei den verschiedenen Positionen sind die Folge. Bei der Chipausgabe verliere ich zum ersten Mal wirklich die Nerven, € 45,– wären als Einsatz für den Chip zu bezahlen. In Ermangelung an Bargeld ein wirkliches Problem. Als hätte ich nicht schon genug Stress, muss ich auch noch einen Bankomat-Besuch unterbringen.

Profi-TIPP: Ausschreibungen sind mittlerweile bei jedem Event im Internet zu finden. Diese sollte unbedingt vor dem Rennen ausführlich studiert werden. Wichtige Hinweise über Gefahrenstellen, Kosten und Abläufe erleichtern das Leben des Marathonisti.

30 Minuten vorm Start – Nachdem ich den Schlauch gewechselt habe und der Luftdruck dieses Mal stabil bleibt, fühle ich mich deutlich erleichtert. Allerdings habe ich zu Hause in der Hektik einiges vergessen einzupacken. Neben dem Helm, den ich noch schnell vor Ort nachkaufe, sind auch meine Müsliriegel zu Hause geblieben. Nun ja – beim nächsten Mal muss ich einiges optimieren, so viel ist klar.

Profi-TIPP: Gepackt wird immer in Ruhe am Vortag. Neben der kompletten Ausstattung (Dress, Helm, Brille, Radschuhe, Handschuhe) dürfen mind. ein Schlauch, Pumpe oder zwei Patronen mit Adapter, Reifenheber, Multitool mit Kettennieter, Riegel und/oder Gel, gefüllte Trinkflaschen und ein justierter Tachometer nicht fehlen. Je nach Höhenprofil sollten sich auch Regenjacke, Windweste oder Ärmlinge im Gepäck befinden. Geht man im- mer vom Schlimmsten (Wettersturz) aus, ist man im Ernstfall auf der sicheren Seite. Beim Schlauch ist, abgesehen von der Dimension, auch der richtige Ventiltyp von Bedeutung. Nicht einmal dem gefinkeltsten Hobbymechaniker gelingt es im Ernstfall, das Autoventil durch ein Sclaverandloch zu pressen.

10 Uhr – Pünktlich auf die Minute erfolgt der Startschuss. Der WC-Besuch nahm, aufgrund längerer Wartezeit, leider mehr Zeit in Anspruch als angenommen. Daher nehme ich das Rennen aus dem hinteren Drittel des Starterfeldes auf. Ich befinde mich die ersten Kilometer ständig auf der Überholspur, ich hole das Letzte aus meinem Körper heraus und präsentiere mich auch am ersten Berg in bestechender Form – bis Kilometer 12. Dann verliere ich an Spritzigkeit und spüre zum ersten Mal meine Muskeln und – meinen Hintern!

Profi-TIPP: Vor dem Rennen unbedingt ein wenig aufwärmen. Besonders nach dem Start darf man sich auf keinen Fall von der Masse mitreißen lassen. Regelmäßig einen Blick auf den Pulsmesser werfen. Etwas „schneller als erlaubt“ ist schon o.k., trotzdem sollte man in seinen Körper hineinhören und sich die Körner bis zum Ende des Rennens gut einteilen.

Kilometer 30, der erste Sturz – Irgendwie komme ich in den schlammigen Waldpassagen mit meinen neuen Pneus überhaupt nicht zurecht. Die Idee mit den leichten Semislicks war wohl doch nicht so gut. Spätestens nach dem ersten heftigen Ausrutscher bin ich mir sicher – die Reifen sind Scheiße und kommen wieder runter … und der Sattel auch gleich, mein Hintern brennt wie die Hölle und ich leide schwere Qualen. Ich muss nur mehr den heutigen Tag überleben und am Montag werde ich meinem Händler etwas erzählen.

Kilometer 40, Hunger – In der ganzen Hektik bin ich noch kein einziges Mal zum Trinken gekommen – was bei der ständigen Rüttelei auch nicht ganz einfach ist. Irgendwie verspürte ich bis jetzt auch keinen Durst – dafür jetzt umso mehr: Völlig ausgetrocknet, schütte ich das Wasser meiner Trinkflasche in mich hinein.

Profi-TIPP: Unbedingt regelmäßig einen Zug aus der Trinkflasche nehmen und nicht aufs Essen vergessen. Wenn der Hunger kommt, ist es meistens schon zu spät. Das Schlimmste, das einem während des Rennens passieren kann, ist ein …

Kilometer 45, „Hungerast“: Plötzlich sackt mein Puls ab und ich verspüre starkes Schwindelgefühl. Es muss sich wohl um den gefürchteten „Hungerast“ handeln. Ich habe zwar schon viel darüber gelesen, konnte mir aber nicht vorstellen, wie extrem es sich anfühlt. Nun weiß ich es und schiebe mein Bike bergauf, mit verkrampften Waden, in Richtung der nächsten Verpflegungsstation.

Profi-TIPP: Auch wenn bei Rennen die Nahrungsversorgung durch Riegel, Obst und Getränke versprochen wird, sollte man für Notfälle immer einen eigenen Riegel bzw. Gel bei sich haben.

Kilometer 48 – Taumelnd befinde ich mich auf meinem Kreuzzug in Richtung Labe, der Krampf ist mittlerweile bis zum Oberschenkel gewandert. Plötzlich zieht der Himmel zu, ich spüre die ersten Tropfen, es beginnt zu schütten und die Temperatur sackt rapide ab. Meine Rennkollegen halten kurz an, ziehen Ärmlinge und Regenjacke über – ich schiebe weiter. Denn meine Regenjacke liegt – originalverpackt und trocken – im Auto.

Kilometer 52 – Nach dem Verzehr diverser Riegel, Lebkuchen, Wurstsemmeln, einer Dose Cola und einem Red Bull radle ich weiter in Richtung Ziel. Während einer gatschigen Wurzelpassage habe ich den 50sten Chainsuck an diesem Tag … „drrrr“ … die Kette ist ab und die Kurbel dreht durch. Irgendwie kommt mir diese Pause gelegen, ich stelle ab und packe mein Multitool aus. Zweifellos besitzt mein Werkzeug einen Kettennieter, doch wie um alles in der Welt verbinde ich die beiden Kettenstücke wieder miteinander … und vor allem womit?

Profi-TIPP: Gutes Werkzeug und Ersatz- teile sind die halbe Miete, jedoch sollte man auch damit umgehen können. Schlauch wechseln und Kette nieten gehören auch im Vorfeld trainiert – zumindest einmal.

Kilometer 99 – Gleich ist es geschafft, ich befinde mich kurz vorm Ziel … allerdings nicht am Bike, sondern im Besenwagen. Aber das ist egal, ich möchte jetzt nur mehr duschen, nach Hause fahren und diesen Tag aus meinem Gedächtnis streichen. Dachte ich noch nach meinem „Hungerast“ und dem Wettersturz, dass es nicht schlimmer kommen könne, wurde ich in der Garderobe eines Besseren belehrt: Schlammiger Dreck überall, Dreck in der Umkleide, Dreck im Vorraum, Dreck in den Duschen, vermischt mit Haaren von hunderten Menschen, und ich mittendrin – ohne Badeschlapfen. Pfui!

Profi-TIPP: Neben einem großen Badehandtuch dürfen besonders die Badeschlapfen in keiner vollständigen Marathonausrüstung fehlen. Ihr Stellenwert ist ungefähr so hoch einzuschätzen wie der des Mountainbikes. Wer sie einmal vergessen hat, weiß, wovon wir sprechen.

Eine Stunde später sitze ich schon mit einem Teller Nudeln und einem Bierchen mit den anderen Finishern im Partyzelt. Auf die Frage, wie es mir ergangen sei, antworte ich souverän: „Nach einem sehr starken Beginn wurde ich leider von einem Defekt aus dem Rennen geworfen.“ Mit dieser Aussage befinde ich mich in bester Gesellschaft, auch bei meinen Kollegen war immer schlechtes Material die Ursache ihres Scheiterns.

erschienen im Bike & Trek 02-2006