Der verflixte siebente Tag

DarkHasi_shitRadhasi sucht einen Partner für die ultimative Herausforderung. Die Alpen sollen überquert werden, und wie immer ist das Hasi in mehr oder minder kleinen Nöten. Aber der Tag des Radhasi sollte kommen, nur: Ist es auch der richtige Tag?

Nachdem ich im Leithagebirge jeden Stein kannte und mich die Anstiege Donnerskirchen und Kaisersteinbruch nicht mehr fordern konnten, war es an der Zeit, eine neue Herausforderung zu suchen. Als logische Schlussfolgerung nach dem Schwechater Radmarathon schien für mich die Transalp – eine siebentägige Alpenüberquerung mit dem Rennrad, gemeinsam mit 550 gleichgesinnten 2er-Teams, von Oberammergau nach Riva del Garda. Da ich aufgrund meiner chronischen Darmerkrankung, die sich durch übelriechende Massenstühle in Szene setzt, von jeher schon wenig Freunde hatte, suchte ich meinen Partner über das Internet: „Motivierter Bergfuchs aus dem Zentralburgenland sucht gleichgesinnten Mitstreiter zur Alpenüberquerung im Renntempo. Aviso: Top-20-Platzierung.“ Klar – Top 20 war ein wenig hochgegriffen, aber die meisten Leute überschätzen sich ja maßlos und einen Wappler als Partner wollte und konnte ich nicht eine Woche lang ertragen. Da sich auch nach Wochen niemand auf meine Annonce meldete, begann ich selber im Internet zu recherchieren. Und siehe da, prompt fand ich ebenfalls einen Kollegen aus dem Burgenland, der wie ich einen Partner suchte. Renntempo, blabla, Top- 20-Platzierung, blabla, es passte perfekt und ich schrieb ihm gleich eine E-Mail, hmm, er hatte auch den gleichen Vornamen wie ich, sogar dieselbe E-Mail-Adresse, Shit! Einige Tage später wurde ich glücklicherweise tatsächlich fündig. Einem deutschen Teilnehmer war der Partner abgesprungen und er sah sich dringend nach Ersatz um. Nach einigen E-Mails war alles ausgehandelt und besiegelt. Wir würden als Team starten, die Nächte im Transalp-Camp verbringen und das Taschen-Transport-Service des Veranstalters nutzen. Die Idee gefiel mir sehr, eine gute Gelegenheit, andere Leute kennenzulernen und neue Freunde zu gewinnen. Ich nutzte die verbleibenden Wochen zum harten Training für dieses Projekt. An manchen Tagen fuhr ich sogar bis zu zweimal über Donnerskirchen und fühlte mich dennoch fit. Die Zeit verging wie im Flug und schon machte ich mich zur Abreise bereit. Rennrad, Schuhe, Dressen, Helm, Verdauungstabletten und Badeschlapfen. Fertig. Treffpunkt Freitag Nachmittag in Mittenwald – ich hatte zwar einen anderen Ort in Erinnerung, aber egal – auf dem Infoblatt stand es so geschrieben. Die Anreise gestaltete sich problemlos und vor Ort wartete schon mein Partner. Er sah verdammt schnell aus, schwafelte irgendetwas von seinem Deutschen Meistertitel und löcherte mich mit Fragen betreffend meines Leistungsvermögens. „Mach dir keine Sorgen, Alter“, konterte ich souverän, „ich fahr locker zwei Mal Donnerskirchen und ein drittes Mal würde sicher auch noch gehen, ich muss nur *rumor*, ich muss nur auf meine Verdauung *drück* ein wenig achtgeben *krümm*, ich komm gleich wieder.“

Mein Kopf war plötzlich leer
Bei der Startnummernausgabe bekamen wir superwichtige Teilnehmerausweise, riesige Transporttaschen und noch größere Start- nummern mit inkludiertem Chip. „Die sehen am Rennradlenker sicher voll Kacke aus. „rumor“ dachte ich und suchte eilig das WC auf. Am Abend stand die erste Nudelparty am Programm. 1100 hungrige Mäuler lauerten in ewig langen Schlangen. Während wir warteten und mich mein Partner mit weiteren Fragen überhäufte, machte sich bei mir erste Nervosität breit. Er bedrängte mich mit Technikfragen, Trainingsmethoden, Durchschnitts-Geschwindigkeiten, vergangenen Rennergebnissen, und ich wusste nichts darauf zu erwidern. Mein Kopf war plötzlich leer, ich konnte nur mehr an das eine denken. Und als ich da so stand und meinen hungrigen Blick durch die Menschenmassen schweifen ließ, erblickte ich sie im Hintergrund. Voller Glanz und Gloria strahlte sie mich an. In dieser Sekunde wusste ich, dass es an der Zeit war, die günstige Gelegenheit zu ergreifen. Sie ward mein – die Herrentoilette.

Kaffee statt Kuchen
Die erste Nacht im Camp war ein Horror. Schnarchende Menschen hielten mich vom Einschlafen ab, andere husteten oder röchelnten penetrant, kramten verzweifelt in ihren Taschen, spielten mit Taschenlampen herum und stolperten über die in Schlafsäcke verpackten Konkurrenten *aua*. Bei den wenigen Damenteams spielte sich am meisten ab. Scheinbar wollten alle Teams so nah wie möglich am Geschehen sein und mit den Ladys ins Gespräch kommen. So hatten wir allerdings unsere Ruhe und ausreichend Platz. Eventuell könnte der Grund des „Sicherheitsabstands“ auch bei meinen krankheitsbedingten Ausdünstungen zu suchen sein? Wirklich problematisch waren aber die sanitären Zustände. Drei WCs für 1100 Personen, meist besetzt oder verstopft, was extrem lange Wartezeiten zur Folge hatte. Im Nachhinein bin ich mir fast sicher, dass ich mehr Zeit vor und in den Toilettenanlagen zugebracht habe, als in meinem Schlafsack. Aber auch diese Nacht ging vorbei und ich fand mich beim Frühstücksbuffet wieder. Einmal mehr war Anstehen angesagt. Eine Schlange bei den Brötchen, eine beim Kaffee, und wer den Honig oder dergleichen vergessen hatte, musste sich erneut hinten einreihen. Ich beschränkte mich aufs Kaffeetrinken, da mir mein Kollege am Vortag noch irgendwas von flüssiger Nahrungsaufnahme erklärt hatte. Gels statt Riegel meinte er, daher zog ich den Kaffee dem Kuchen vor. Einen Liter Kaffee später, zirka zwei Stunden vor dem Start gab ich meine Reisetasche beim Organisator-LKW ab, marschierte in Richtung Startblock D und suchte meine Partner. Doch irgendetwas stimmte nicht, hunderte Teilnehmer standen bereits in ihren Blöcken, tranken, plauderten, dehnten … und sahen mich entgeistert an. Ich spazierte mit meinem Rennrad an den Menschenmassen vorbei und bekam plötzlich die Erleuchtung – die komplette Konkurrenz stand mit Mountainbikes am Start. „Entschuldigung. Wann starten denn die Rennräder?“, fragte ich jemanden von der Organisation. „Wie bitte?“, schallte es und der Helfer blickte mich ungläubig an. „Na, die Teams, die mit den Rennrädern die Alpen überqueren – wann und wo ist der Start?“, blieb ich hartnäckig. „Da kommst du um ca. 14 Tage zu spät. Die Rennrad-Transalp ist bereits in Oberammergau über die Bühne gegangen, das hier ist die Mountainbike-Transalp!“ „Shit! Wirklich dumm gelaufen“. dachte ich laut und ging in Deckung, als ich in der Ferne meinen Partner erspähte.

Manchmal dauert es etwas länger
Eine Stunde später betrat ich erneut den Block D mit meinem frisch erworbenen Mountainbike. Der ortsansässige Fahrrad-Versandhandel und meine Kreditkarte machten es möglich. Zwar war nicht mehr genug Zeit, um auf Mountainbike-Schuhe umzusteigen, aber die Rennradpedale gaben ohnehin genügend Halt. Stolz diese Misere irgendwie gemeistert zu haben, schob ich mich mitsamt des Rades durch den Sektor nach vorne zu meinem Partner. „Wo warst du denn so lange? Ich hab mir echt schon Sorgen gemacht, dass wir den Start verpassen würden“, hielt er mir vor. „Bleib cool, Alter“, erwiderte ich. „Ich hab die Ruhe weg bei solchen Events. Ich muss nur *grummel* noch einmal flott auf die Toilette. *rumor* Haltest du bitte schnell mein Rad. Ich bin gleich wieder da.“ Unter doppeltem Druck rannte ich zu den Toiletten, und während ich auf meinem Thron saß und alles gab, was in mir steckte, hörte ich einen lauten Knall. Vorerst befürchtete ich, die Muschel gesprengt zu haben, aber einige Minuten später war klar, dass ich den Startschuss gehört hatte. Als ich zurückkehrte, waren die ersten drei Blocks schon leer und im Block D stand mein Partner fassungslos mit meinem Mountainbike. „Sorry. Hat etwas länger gedauert“, entschuldigte ich mich. Aber ich bekam keine Antwort. Wir klickten ein und setzten uns wortlos in Bewegung.

Ich schlug des Öfteren in den Bäumen ein und übergab mich mehrmals, aber die Show ging weiter.
Überraschenderweise kam ich mit meinem Mountainbike sehr gut zurecht – zumindest auf den ersten 20 neutralisierten Asphalt-Kilometern in der Ebene. Mein Partner drückte richtig an und wir konnten ca. 300 Teams überholen. Dem hohen Tempo musste ich allerdings kurz darauf, als es ins Gelände ging, Tribut zollen. Nun begannen meine Probleme und ich kämpfte schon nach wenigen Höhenmetern ums Überleben. Bergauf fehlte mir die Kondition und bergab die Technik. So schob ich das Bike den Gipfel hinauf und trug es auf der anderen Seite hinunter. Dazu gesellte sich mein Handikap mit den Rennradschuhen. Aufgrund des fehlenden Grips rutschte ich mehrfach aus und riss sogar meinen Partner mit in die Tiefe. Am Ende des Tages standen ein 419. Gesamtrang und ein Paar kaputte Rennradschuhe zu Buche. Die darauf folgenden Tage lief es allerdings wie am Schnürchen. Mit meinen neuen Mountainbike-Schuhen konnte ich besser schieben und ich schaffte es im Gelände sogar aus- und wieder einzuklicken. Konditionell betrachtet ging der Trend nach oben. Immerhin schafften wir es, uns nach der sechsten Etappe auf den 326. Rang vorzuarbeiten. Ich war sehr zufrieden, bei meinem Partner bin ich mir nicht ganz so sicher. Immerhin sprach er seit dem verpassten Startschuss kein Sterbenswörtchen mehr mit mir. Aber egal, es war an der Zeit, sich auf die siebente und letzte Etappe zu kon- zentrieren. Alles auf eine Karte Ich aß am Vorabend wie ein Scheunendrescher, nahm in der Früh Schmerztabletten, Koffeintabletten, L-Carnitin und ein paar Schnelle. Mein Gott, war ich aufgedreht und scharf, eine Bestzeit aus den Boden zu stampfen! Nach dem Startschuss schritt ich sofort zur Tat und schrie meinen Partner an, alles zu geben. Wir pressten in der neutralisierten Phase an sämtlichen Konkurrenten unseres Blocks vorbei. Selbst Gehsteige, Kreisverkehre und herumirrende Pensionisten hinderten uns nicht daran. Unter Krämpfen konnten wir am ersten Berg zu den Top-20-Teams aufschließen. Mir war richtig übel, aber ich wollte es jetzt wissen. Bergab setzten wir alles auf eine Karte, ich schlug des Öfteren in den Bäumen ein und übergab mich mehrmals, aber die Show ging weiter. Für den zweiten Berg war es notwendig, die autonomen Reserven anzugreifen. Zur Aktivierung warf ich einen heftigen ECA-Stack ein und konnte mit meiner Leistung sogar den Partner positiv überraschen. Schlussendlich kamen wir mit den besten Teams über den Berg und ließen auch beim Downhill nichts mehr anbrennen. Wie ein Fabian Cancellara fuhr ich den Zielsprint an, mein Puls jenseits 200, attackierte das Führungsteam, blieb mit dem Vorderrad an einem Schnellspanner hängen, überschlug mich und schlitterte mit ca. 45 km/h über den Asphalt ins Ziel. Es war vollbracht, überglücklich lag ich im Dreck, während mich die Rettungsmannschaften erstversorgten, mit einer Halskrause schmückten und mir einen Freiflug mit dem Hubschrauber versprachen. Meinem Rad ging es ähnlich – es war ein Haufen Schrott. Perfekt! Wie in einem Formel-1-Rennen, bei dem das Siegerauto während der Ehrenrunde in seine Einzelteile zerfällt. Nur dann haben die Techniker und der Fahrer alles gegeben. Stolz blickte ich in die besorgten Augen meines Partners und stammelte: „Alter, wir haben es geschafft!“ Und tatsächlich, es regte sich etwas, seine Gesichtsmuskeln verspannten sich zu einer Antwort, er sprach wieder mit mir: „Was haben wir geschafft? Die Mountainbike-Transalp hat doch acht Etappen.“

erschienen in der Radwelt 05-2007